Verschulden, Arglistanfechtung
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Arglistbewertung bei einer Erklärung vor dem Arzt
BGH, Beschl. v. 10.5.2017 - IV ZR 30/16, r+s 2017, 408 = zfs 2017, 447 = VersR 2017, 937 (BUZ)
- Hat der Antragssteller bei Beantragung einer Berufsunfähigkeitsversicherung die Frage nach nach Krankheiten, Gesundheitsstörungen oder Beschwerden teilweise mit "ja" beantwortet, bei den insoweit abgefragten ergänzenden Angaben zu mit "ja" beantworteten Fragen aber nur Routineuntersuchungen beim Hausarzt und Zahnarzt und nicht mitgeteilt, dass er ca. drei Jahre zuvor nach einem Sporttraining eine Ohnmacht erlitten hatte, ein eingeholtes EEG einen unklaren Befund ergeben hatte und deshalb eine Überweisung an eine radiologische Praxis erfolgt war, wo drei ergebnislose MRT-Untersuchungen des Schädels stattfanden, und gibt der Antragssteller dann bei einer wegen der Versicherungssumme erforderlichen Untersuchung in der „Erklärung vor dem Arzt "2004 - 1x Synkope … kard. Abklärung: o.B. neurol. Abklärung: o.B." an, muss das Gericht für die Beurteilung einer Arglist die Motive des Antragsstellers aufklären. Denn es ist möglich, dass der Antragssteller davon ausgegangen ist, schon die Mitteilung über die Synkope im Jahre 2004 und eine nachfolgende "neurologische Abklärung" ohne Befund ermögliche dem Versicherer genauso eine Risikobewertung wie die ausdrückliche Bezeichnung der durchgeführten MRT-Untersuchungen.
- Kommt es auf Betreiben des Versicherers im Zuge der Verhandlungen über den Abschluss einer Lebens- und Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zur Aufnahme einer "Erklärung vor dem Arzt" steht der Arzt einem Versicherungsagenten bei Aufnahme des Versicherungsantrags gleich. Was dem Arzt zur Beantwortung der vom Versicherer vorformulierten Fragen gesagt ist, ist dem Versicherer gesagt.
Ls. r+s:
Eine objektive Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen liegt vor, wenn der VN lediglich eine einmalige „neurologische Abklärung ohne Befund“ angibt, wenn es tatsächlich zu mehrfachen und aufwändigeren Untersuchungen gekommen ist (hier: wiederholte MRT-Untersuchungen des Schädels innerhalb eines Zeitraums von 20 Monaten). Der VN handelt dabei aber nicht arglistig, wenn er geglaubt hat, es sei für die Annahmeentscheidung des Versicherers nicht von Bedeutung, ob er ihn konkret über die durchgeführten Untersuchungen oder nur allgemein über eine „neurologische Abklärung“ unterrichtet.
Arglistanfechtung des Versicherers wegen verschwiegener Vorerkrankung, AGG
BGH, Beschl. v. 25.05.2011 - IV ZR 191/09, VersR 2011, 1249 = r+s 2011, 419
Eine Arglistanfechtung des Versicherers wegen verschwiegener Vorerkrankung ist nicht automatisch deswegen unwirksam, weil die Aufdeckung der arglistigen Täuschung auf einer zu weit gefassten und deshalb unwirksamen Schweigepflichtentbindung beruht. Vielmehr ist eine Abwägung zwischen den jeweiligen Rechtsverletzungen, deren Intensität und den verletzten Rechtsgütern vorzunehmen.
Eine Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistigen Verschweigens einer Behinderung stellt keinen Verstoß gegen das AGG dar, wenn der Versicherer bei wahrheitsgemäßer Angabe der Behinderung verschiedene Möglichkeiten der Vertragsgestaltung bis hin zur Vertragsablehnung gehabt hätte.
Arglistige Täuschung durch Unterlassen, wenn Angaben nach Erhalt des Versicherungsscheins nicht richtig gestellt werden?
BGH, VU v. 24.11.2010 – IV ZR 252/08, r+s 2011, 58/77 = VersR 2011, 337
Eine arglistige Täuschung durch Unterlassen liegt nicht vor, wenn der VN nach Antragsstellung den Versicherungsschein nebst "Policenbegleitschreiben" erhält und vom Versicherungsagenten nicht dem Versicherer übermittelte Vorerkrankungen nicht richtig stellt, da er auf die Entscheidung des Versicherers keinen Einfluss mehr nehmen konnte, weil dieser alles getan hatte, was von seiner Seite für das Zustandekommen des Versicherungsvertrages erforderlich war. Das gilt auch dann, wenn der Vertrag nach dem früheren „Policenmodell“ innerhalb einer Widerspruchsfrist schwebend unwirksam war.
Ls. r+s:
1. Ist eine „Versicherungsanfrage” als Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages anzusehen, den der Versicherer durch Übersendung der Police angenommen hat, kann er durch eine nachfolgend unterbliebene Richtigstellung etwaiger unrichtiger Angaben des Versicherungsnehmers hinsichtlich seiner Antragsannahme nicht mehr arglistig getäuscht werden.
2. Erklärt der Versicherer, er werde auf der Grundlage einer Anfrage sowie dieser beigefügten Angaben zum Gesundheitszustand der zu versichernden Person ein schriftliches Vertragsangebot (VersSchein) erstellen und vom Abschluss des Vertrages mit Aushändigung dieses Angebots incl. der schriftlich gegebenen gesetzlichen Verbraucherinformation an den VN ausgehen, wenn dieser dem Vertragsabschluss nicht binnen Monatsfrist nach Aushändigung widerspricht, so ist nach dieser Ablaufbeschreibung des Versicherers dies nur so zu verstehen, dass in der sog. Anfrage der Antrag des VN auf Abschluss eines VersVertrages und in der Aushändigung des VersScheins durch den Versicherer dessen Annahme des Vertragsangebots zu sehen ist.
3. Bittet der Versicherer in einem dem VersSchein beigefügten „Policenbegleitschreiben” den VN, die beigefügten Unterlagen (u.a. die Antworten zum Gesundheitszustand) zu überprüfen und ihn umgehend „bei Unvollständigkeit oder Abweichungen von den bei der Anfrage gemachten Angaben” zu informieren, so kann der VN durch eine unterlassene Korrektur unrichtiger Gesundheitsangaben auf die Entscheidung des Versicherers keinen Einfluss mehr nehmen und diesen damit durch Unterlassen der Korrektur nicht arglistig täuschen, weil der Vertrag mit der Übersendung des VersSchein schon zustande gekommen ist.
4. Hat der VersVertreter – nach der Behauptung des VN – das Formular mit den Fragen zu den Gefahrumständen eigenmächtig ohne Rückfragen an den VN ausgefüllt, so sind die Formularfragen diesem nicht zur Kenntnis gelangt. Der Versicherer hat zu beweisen, dass der VersVertreter dem VN die Antragsfragen zu eigenverantwortlicher (mündlicher) Beantwortung vorgelesen hat.
Vertrag darf immer vollständig angefochten werden
BGH, Urt. v. 28.10.2009 - IV ZR 140/08, r+s 2010, 55 = VersR 2010, 97
Der anlässlich der Beantwortung von Gesundheitsfragen bei Anbahnung des Versicherungsvertrages arglistig getäuschte Versicherer ist bei einer Anfechtung nach § 123 BGB, § 22 VVG a.F. nicht darauf beschränkt, den abgeschlossenen Versicherungsvertrag insoweit bestehen zu lassen, als er ihn auch ohne Täuschung abgeschlossen hätte. Vielmehr kann er sich insgesamt vom Vertrag lösen, ohne dass es etwa auf eine Kausalität i.S. des § 21 VVG a.F. ankäme (Fortführung von BGH, 1. Juni 2005, IV ZR 46/04, BGHZ 163, 148).
Keine Kausalität zwischen der argl. Täuschung und Versicherungsfall erforderlich
BGH, Beschl. v. 30.9.2009 – IV ZR 1/07
Es ist keine Kausalität zwischen der Täuschung und dem Versicherungsfall erforderlich. Die ausdrücklich auf den Rücktritt des Versicherers bezogene Vorschrift des § 21 VVG a.F. findet im Fall der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung keine Anwendung.
Arglistige Täuschung des Versicherers bei Einschaltung eines Maklers durch den VN
BGH, Beschl. v. 12.3.2008 – IV ZR 330/06, VersR 2008, 809
1. Eine arglistige Täuschung des Versicherers allein durch den Makler, der nicht Dritter i.S.v. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB ist, ist dem VN nach § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen.
2. Will der Versicherer den ihm nach § 123 BGB obliegenden Nachweis führen, der VN habe bei Anbahnung des Versicherungsvertrags arglistig falsche Angaben gemacht, so trifft, wenn objektiv falsche Angaben vorliegen, den VN eine sekundäre Darlegungslast.
3. Falsche Angaben in einem Versicherungsantrag allein genügen nicht, um den Schluss auf eine arglistige Täuschung zu rechtfertigen. Die Annahme von Arglist setzt in subjektiver Hinsicht vielmehr zusätzlich voraus, dass der VN erkennt und billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde.
Sekundäre Darlegungslast des VN beim Beweis der arglistigen Täuschung
BGH, Beschl. v. 7.11.2007 - IV ZR 103/06, r+s 2008, 62 = VersR 2008, 242 = zfs 2008, 92 = NJW-RR 2008, 343
Will der Versicherer den ihm nach § 123 BGB obliegenden Nachweis führen, der VN habe bei Anbahnung des VersVertrags arglistig falsche Angaben gemacht, so trifft, wenn objektiv falsche Angaben vorliegen, den VN eine sekundäre Darlegungslast; er muss plausibel darlegen, wie und weshalb es zu den falschen Angaben gekommen ist.
Grundsätzliches zur Arglist
BGH, Urt. v. 28.02.2007 - IV ZR 331/05 zur Täuschung bei Abschluss einer Unfallversicherung
Die arglistige Täuschung setzt eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem Versicherer zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der Versicherungsnehmer muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirkt (Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. § 22 Anm. 14). Falsche Angaben in einem Versicherungsantrag allein rechtfertigen den Schluss auf eine arglistige Täuschung nicht; einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung einer Antragsfrage immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken, gibt es nicht (vgl. nur Senatsurteile vom 22. Februar 1984 - IVa ZR 63/82 - VersR 1984, 630 unter I 1 und vom 18. September 1991 - IV ZR 189/90 - VersR 1991, 1404 unter 3; OLG Saarbrücken VersR 1996, 488; ebenso BK/Voit, VVG § 22 Rdn. 30). In subjektiver Hinsicht setzt die Annahme von Arglist vielmehr zusätzlich voraus, dass der Versicherungsnehmer erkennt und billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde (vgl. Senatsurteile vom 28. November 1984 - IVa ZR 81/83 - VersR 1985, 156 unter II 4 a; vom 12. November 1986 - IVa ZR 186/85 - VersR 1987, 91 unter II und vom 20. November 1990 - IV ZR 113/89 - NJW-RR 1991, 411 unter I 2; vgl. auch Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 22 Rdn. 4; Langheid in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 22 Rdn. 6, beide jeweils m.w.N.).
Rückforderung von VersLeistungen und Behalt gezahlter Prämien nach Anfechtung wegen arglistiger Täuschung
BGH, Urt. v. 1.6.2005 - IV ZR 46/04 (OLG Celle), r+s 2005, 368
Es verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß der Versicherer nach wirksamer Anfechtung des VersVertrages wegen arglistiger Täuschung nicht nur bereits erbrachte VersLeistungen zurückfordern, sondern auch die seit Vertragsschluß erhaltenen Prämien behalten darf.*
Vorvertragliche Anzeigepflicht - keine dem Versicherer zuzurechnende Kenntnis des von ihm mit der Erstellung eines Gesundheitszeugnisses beauftragten Arztes, wenn Antragsteller diesen arglistig täuscht
BGH, Urt. v. 7.3.2001 - IV ZR 254/00, r+s 2001, 261 = NVersZ 2001, 306 = ZfS 2001, 373 = NJW-RR 2001, 889 = MDR 2001, 809
*Dem Versicherer ist das Wissen des mit der Erstellung des ärztlichen Zeugnisses beauftragten Arztes, das dieser nicht durch den Antragsteller im Rahmen der „Erklärung vor dem Arzt“, sondern aus früheren Behandlungen erlangt hat, jedenfalls dann nicht zuzurechnen, wenn der Antragsteller bei Beantwortung von Gesundheitsfragen arglistig getäuscht hat.*
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung über den Gesundheitszustand
BGH, Entscheidung vom 07.10.92 (IV ZR 224/91), VersR 1993, 1701.
1. Ein VN, der einen zweiten Versicherungsvertrag abschließen will und der, anstatt die vorformulierten Gesundheitsfragen zu beantworten, pauschal erklärt, gegenüber dem ein Jahr alten ärztlichen Gesundheitszeugnis habe sich sein Gesundheitszustand nicht verändert, macht wahrheitswidrige Angaben, wenn eine vor dem Zeugnis begonnene ärztliche Behandlung wegen phobisch-depressiver Gesundheitsstörungen entgegen damaliger Erwartung noch immer nicht abgeschlossen werden konnte.
2. Beantragt der VN den Abschluss von Lebensversicherungsverträgen, so ist eine arglistige Täuschung durch den VN nicht mit der Begründung zu verneinen, ihm sei es auf den Abschluss nicht ernsthaft angekommen, weil er die Verträge zu Kreditzwecken beantragt und benötigt habe.
Arglistanforderungen
BGH, Entscheidung vom 21.05.1986 (IVa ZR 220/84, Köln), VersR 1986, 801
Über die Anforderungen an den Nachweis einer vom VN begangenen arglistigen Täuschung bei objektiven und subjektiven Zweifeln hinsichtlich des Vorliegens einer Berufsunfähigkeit.